Quantcast
Channel: Kommentare zu: Was bedeutet „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ nun wirklich?
Viewing all articles
Browse latest Browse all 4

Von: Heiko Sauer

$
0
0

Das Sachproblem wird meiner Meinung nach übertrieben, wenn die Verfassungsrechtsprechung dafür kritisiert wird, dass sie ein „begriffslogisches Korsett“ zusammengeschnürt habe, in dem man sich kaum mehr zurechtfinden kann. Sicher mag man die Verwendung unterschiedlicher, jeweils nur leicht abgewandelter Begriffe für einen gleich bleibenden Zusammenhang, wie sie in der Verfassungsrechtsprechung nicht selten ist, aus wissenschaftlicher Sicht bedauern; terminologische und rechtsdogmatische Konsistenz ist in wechselnd besetzten Spruchkörpern im Laufe der Zeit freilich immer schwer zu erreichen. Entscheidend ist dabei, ob ungeachtet einer vielleicht nicht zweifelsfreien Terminologie klar ist, was in der Sache gemeint ist. Das ist der Fall: Für die Schwelle der parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist genau dies spätestens seit dem für seine Inkohärenz besonders kritisierten Hauptsacheurteil des Bundesverfassungsgerichts zum AWACS-Einsatz in der Türkei der Fall. Nach dem Grundsatzurteil zu den Auslandseinsätzen aus dem Jahr 1994 ist der „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ zustimmungsbedürftig. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Auffassungen zum Begriff des „Einsatzes“ in Art. 87a Abs. 2 GG wurde dabei präzisiert, dass Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland der parlamentarischen Zustimmung nicht bedürfen, wenn die Soldaten dabei nicht „in bewaffnete Unternehmungen einbezogen“ sind. Dabei handelt es sich um eine Konkretisierung des Tatbestands „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“, d.h. von Beginn an kam es nur auf die Einbeziehung von Soldaten in bewaffnete Unternehmungen an. Weiterer Präzisierungen bedurfte es für die Zwecke der damals entschiedenen Sachverhalte nicht und hatten daher zu unterbleiben.
Auf dieser Grundlage wurde dann – und man mag den Einbeziehungstatbestand dafür begrifflich kritisieren, da er auf eine tatsächliche und nicht lediglich potenzielle Einbeziehung hindeutet – im Urteil zum AWACS-Einsatz in der Türkei aus dem Jahr 2008 präzisiert, dass es ausreicht, dass eine Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen zu erwarten ist. An diese Erwartung werden nun im Sinne einer qualifizierten Erwartung besondere Anforderungen gestellt: Eine besondere Nähe zur Anwendung von Waffengewalt muss auf der Grundlage tatsächlicher Anhaltspunkte konkret zu erwarten sein. Hier geht es um eine Gefahrenprognose, d.h. um die zum Einsatzzeitpunkt bestehende tatsächliche Ungewissheit darüber, was sich während des Einsatzes ereignen wird. Diese Gefahrenprognose war beim Türkei-Einsatz unter konkreten Fallumständen nicht übermäßig schwierig, weil die NATO sich bereits vorher zu einer militärischen Antwort auf einen etwaigen Angriff aus dem Irak entschieden hatte und mit einem solchen Angriff nach Lage der Dinge gerechnet werden musste. In anderen Fällen wird die vom Verfassungsgericht vorgezeichnete Gefahrenprognose dagegen – wie etwa beim Pegasus-Einsatz – den Kern des Problems darstellen, wobei ausdrücklich festgestellt wurde, dass diese Prognose verfassungsgerichtlich voll überprüfbar ist.
Ungeachtet möglicher Schwierigkeiten bei der Anwendung des verfassungsrechtlichen Maßstabs ist dieser Maßstab vom Bundesverfassungsgericht damit klar entfaltet worden: Zustimmungsbedürftig ist ein Auslandseinsatz der Bundeswehr dann, wenn zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung entweder gesichert erscheint oder doch konkret zu erwarten ist, dass die Soldaten während des Einsatzes in bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen sein werden. Konkretisierungen des verfassungsrechtlichen Maßstabs werden oft schon mit Blick auf den konkret zu entscheidenden Fall vorgenommen, sodass leichte Variationen in der Verfassungsrechtsprechung häufig und für sich genommen auch nicht problematisch sind. Die Forderung nach terminologischer Konsistenz in der Verfassungsrechtsprechung sollte also mit Blick auf ihren Fallbezug nicht auf die Spitze getrieben werden, wenn und soweit der verfassungsrechtliche Maßstab klar erkennbar bleibt.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 4